Artikel - klassisches-reiten.com

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Artikel

Dehnungshaltung

Die Dehnungshaltung ist zur Zeit ein viel diskutiertes Thema. Ja, nein, wie viel?

Für mich ist die Dehnungshaltung nicht aus dem Pferdetraining wegzudenken und immens wichtig. Dies hat auch seine Gründe:

Pferde sind Energiesparer. Betrachten wir ein Pferd in seinem natürlichen Zustand: Grasend auf der Weide, wobei es sich langsam vorwärts bewegt oder aber es döst vor sich hin. In diesem Zustand ist der Parasympathikus aktiviert, der die Körperfunktionen der Regeneration unterstützt und dem Aufbau der Energiereserven dient (Erholungsnerv). Nur wenn Gefahr droht oder das Pferd flüchten muss, aktiviert es seinen Sympathikus, den Leistungsnerv, der die gesamte dorsale Kette, d. h. die Oberlinie anspannen lässt.

In der Dehnungshaltung spannt sich das „Seilzugsystem“ Nacken-Rücken-Band. Das Nackenband setzt am Hinterhauptsbein an und geht am 3. BW in das Rückenband über, das sich bis nach hinten durch zieht. Der Kopf senkt sich nach vorne ab, dadurch verlagert sich der Schwerpunkt etwas weiter nach vorne, die Schrittfrequenz und Schrittlänge werden je nach Länge des Halses größer, um das Gleichgewicht zu halten. Dadurch bewegt sich das Pferd sehr ökonomisch und energieeffizient vorwärts. Die gesamte Muskulatur, v. a. aber der lange Rückenmuskel, auf dem der Reiter sitzt und der KEIN Trage-, sondern ein reiner Bewegungsmuskel ist, wird entlastet.

Die Dehnungshaltung führt außerdem zu mehr Losgelassenheit. Man sieht kaum ein Pferd, das unentspannt in Dehnungshaltung geht, weil in der Dehnungshaltung nicht der Sympathikus, sondern der Parasympathikus aktiviert ist.

Nicht nur für die Muskulatur, sondern auch für die Dornfortsätze ist die Dehnungshaltung ein Vorteil:
Die Dornfortsätze 1 - 14 zeigen caudal in Richtung Schweif, der 15. Dornfortsatz ist nahezu senkrecht, die Dornfortsätze 16 - 18 und auch die Wirbel der LWS zeigen cranial in Richtung Kopf. Durch das Absenken des Halses und die Spannung des Nacken-Rücken-Bandes werden die ersten 14 Dornfortsätze auseinander gezogen. Durch nach vorne unter den Schwerpunkt tretende Hinterbeine wiederum werden die cranial geneigten Dornfortsätze auseinander gezogen.

Für eine richtige Dehnungshaltung braucht man also Beides: Die Dehnung des Nacken-Rücken-Bandes und eine aktive, nach vorne tretende Hinterhand. Dann wölbt sich auch der Rücken auf und die Muskulatur wird entlastet.

Auch das muss aber trainiert werden. Ich habe bisher in meiner Laufbahn kein einziges junges Pferd erlebt, das diese Dehnfähigkeit von Anfang an besaß. Entweder fällt das Absenken des Halses leicht, dann treten aber die Hinterbeine kürzer oder aber man aktiviert die Hinterhand etwas mehr, dann kommt dagegen der Kopf wieder nach oben. Das ist wie bei uns Menschen: Setzt Euch im Schneidersitz auf den Boden und drückt dann die Knie nach unten. Tut`s weh? Das ist übrigens eine ganz tolle Übung zum Training der Antiklemmer beim Reiter, aber das ist wieder ein anderes Thema. Stellt Euch aufrecht hin, beugt Euch noch vorne und versucht, mit den Fingern die Zehenspitzen zu erreichen, ohne dabei die Knie zu beugen. Dehnfähigkeit muss langsam auftrainiert werden (und das bitte nicht mit Hilfe von Hilfszügeln).

Natürlich bringt das dauerhafte Reiten in Dehnungshaltung auf Dauer nichts für den Aufbau der Muskulatur, denn ein Muskel baut sich nur dann auf, wenn er auch dementsprechende Reize erhält. Allerdings ist es enorm wichtig, den Muskel niemals zu überfordern, denn nur, wenn er gleichmäßig an- und entspannt wird, arbeitet er richtig. Ein dauerhaft angespannter Muskel wird nicht mehr mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Anstatt zu hypertrohieren (wachsen) atrophiert (verkümmert) er. Das ATP und KrP werden bereits nach 20 - 30 Sekunden verbraucht sein und der Muskel fängt an, anaerob zu arbeiten und Glukose in Milchsäure umzuwandeln. Um sich wieder vollständig aufzufüllen, brauchen ATP- und KrP-Speicher ca. drei Minuten. Durch gezieltes Intervalltraining mit ausreichenden Pausen kann man diese anaerobe Kapazität aber erweitern und trainieren. Anzumerken ist hier noch, dass ein Muskel NUR in der Erholungsphase wächst! Angemessene Erholungspausen sind daher extrem wichtig, das weiß auch jeder Profisportler.

 
 
 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü